Direkt zum Hauptbereich

Das Glückspaket zum Wochenende, Teil 2: Zeitreise

Wer sagt, dass es nicht möglich ist, durch die Zeit zu reisen, der lügt. Oder hat noch nie als Erwachsener ein Wochenende bei seinen Eltern verbracht.


Ich tue das immer wieder, vor allem wenn Klassentreffen anstehen oder - wie gestern - Freunde, die in der Heimatstadt geblieben sind, einladen. Haha, das klingt so, als wäre ich in eine weit entfernte Stadt gezogen, dabei sind es nur 30 Kilometer. Aber auch diese kurze Distanz reicht aus, um weit weg zu sein.

Mein Vater besteht darauf, mich zu "meiner Party" zu fahren, weil "die Gegend ist zwielichtig, da solltest du im Dunkeln nicht rumlaufen und für den Heimweg nimmst du ein Taxi", dann zählt er auf, was die Gegend so gefährlich macht. Alles Örtlichkeiten, die es schon vor 20 Jahren gab und da hat uns niemand was getan. Aber es regnet gerade und ich mag auf hohen Schuhen nicht so weit laufen, reicht schon, wenn ich das nachher machen muss, weil natürlich werde ich kein Taxi nehmen.

Ich sehe alte Freunde nach langer Zeit wieder, finde, dass wir uns völlig & total und gleichzeitig überhaupt nicht verändert haben und fühle mich ihnen sofort wieder nahe. Wir tauschen "weißt du noch"-Geschichten aus, reden zunächst noch darüber, wie seltsam es sich anfühlen kann, erwachsen zu sein, dass wir manchmal neben uns zu stehen scheinen, einen Blick von außen auf uns werfen und denken, verdammt, was mache ich hier eigentlich, wie bin ich hier gelandet, wieso nehmen mir die Leute das ab?? M. geht es so, wenn sie bei ProFamilia Beratungsgespräche führt, mir im Unterricht.

Dann hören wir mit dem Quatsch auf, trinken, lachen, tanzen albern zu alberner Musik. Es ist wie früher und doch gibt es einige Beweise, dass Zeit vergangen ist, obwohl wir so feiern like it's 1999. "Billie Jean", "So lonley" und "Rhythm is a dancer" kommen aus dem MacBook, wir lassen die Schnäpse weg und statt Lambrusco aus 2-Liter-Flaschen gibt es Rotwein, der kein Kopfweh macht, weil wir einen Kater nicht mehr so leicht wegstecken und spätestens am Montag müssen alle fit sein. Um Mitternacht muss niemand zur Tanke, es gibt noch genügend Getränke und die meisten rauchen nicht mehr, zumindest nicht mehr so viel, aber einige müssen kurz weg, um diverse Kinder ins Bett zu bringen. Die Kinder, die keine Kinder mehr sind, sondern schon Teenager, müssen nicht ins Bett, räumen die Tische ab und bieten Getränke an.


Zum Abschied gibt es lange warme Umarmungen und das Versprechen, dass wir uns bald wiedersehen werden. Oder uns zumindest darum bemühen wollen, zu telefonieren statt auf Facebook zu posten. Letzteres scheint nach Abklingen der ganzen Examens-Einschulungs-Wiedersehens-Sentimentalität wahrscheinlicher.
Der Heimweg hat sich nicht verändert, die Unterführung, in der es nach Gras riecht, auf jeder Bank und jedem Parkplatz hängen Gruppen von Kleinstadtteenagern rum, die laute Musik spielen, kiffen, trinken, johlen.

Im meinem alten Zimmer muss ich zum Glück nicht mehr unter den tränenerfüllten Blicken von traurigen Clowns und Einhörnern schlafen, es wurde zum üblichen Büro/Gästezimmer umfunktioniert und mit schlichterem Wandschmuck versehen.


Frühstück mit meiner Mutter, wir sitzen auf unseren alten Plätzen, es ist alles da, was man braucht, Brot, Butter, Marmelade, Honig, Käse, Fragen, Ermahnungen. War's schön? Wann bist du zurück gekommen? War so und so auch da? Iss' noch was! Zieh' Hausschuhe an! Wenn dir kalt ist, mach' das Fenster zu! Soll ich das Fenster zumachen? Nimm' meine Hausschuhe, war's schön?


Oh, jetzt ruft sie, es gibt Mittagessen, Bohnensuppe und Pfannkuchen. Zeitreisen sind super!

Kommentare

  1. Honig, Käse, Ermahnungen. Toll. Auch wenn ich mich wiederhole: Du schreibst so schön, danke, dass ich mitreisen durfte. (Und wie süß ist denn bitte dieses Girl?)

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Mein guter Vorsatz.

Ich habe nie gute Vorsätze für's neue Jahr.  Das mag daran liegen, dass ich bei den üblichen Verdächtigen schon längst ein Häkchen gemacht habe. Rauchen aufhören? Ich hab' nie geraucht. Weniger Alkohol trinken? Ich trinke ungefähr 6 mal im Jahr Alkohol, vermutlich wäre weniger gefährlich. Sport machen? Mach' ich schon, fühl' mal meinen Bizeps. Nee, besser doch nicht. Aber Sport mach' ich. Gesünder essen? Pffff, seit Jahren. (Oh Gott, wenn ich das lese, sollte ich mir vielleicht vornehmen, nicht der langweiligste Streber auf Erden zu werden. Aber nein, da habe ich ja schon vorgesorgt. Wenn ich anfange, jahreszeitbezogene Fensterbilder mit Window Color zu malen, schlägt L. mich k.o.).  Wenn ich etwas tun will, dann tue ich es. Oder ich lasse es. Oder ich kann mich nicht entscheiden und jammere. Aber ganz sicher nicht an einem bestimmten Datum. Und ich hasse Silvester. Diese übertriebene Erwartungshaltung, ein Jahr endet, ein neues beginnt, da muss doch die b...

Hoffnung und Liebe

23.02., 16 Uhr, alles ruhig in der Armbeuge 23.02., 17 Uhr, waaaaah! 24.02., 7 Uhr, es ist immer noch da. Nach dem Geburtstagsessen meines Schwagers (es gab den Himalaya aus Kässpätzle mit einem Nebengebirge aus geschmälzten Zwiebeln, diese gutbürgerlichen Restaurants immer, als gäb's nie wieder was zu Essen), Monster malen ("ich mal Fresso und du Glotzer"), Fratzen-Fotos und Sofa schleudern mit den Kindern, wollte ich eigentlich nur kurz ins Tattoo-Studio, um mich nach einem Termin zu erkundigen und dann schnell nach Hause, ich fühlte mich wie Fresso (ich habe das Kässpätzle-Zwiebel-Gebirge selbstverständlich aufgegessen). Der nette junge Mann warf nur einen kurzen Blick auf meinen Entwurf, zog die Augenbrauen hoch und sagte: "Des kann man schon machen, aber eigentlich geht Tattoo anders." Und "Termin brauchsch' dafür net, Termin brauchsch' nur für richtige Tattoo, des mach' ich glei, mir isch eh' langweilig." Das ist ...

1000 Fragen an mich selbst: 1-40

   1000 Fragen an mich selbst - eine Idee, die ich irgendwo im Internet aufgeschnappt habe und die mir gefallen hat. Weil ich gerne über mich nachdenke und erzähle und weil ich Lust darauf habe, wieder etwas hier zu schreiben. Und weil es schön ist, mal andere Fragen zu beantworten als "Kommt das in der Klausur dran?" oder "Können wir heute mittag frei kriegen?" (Anwort: Erstens ja, zweitens nein.). Vielleicht komme ich gar nicht weiter als bis Frage 40, vielleicht doch. Vielleicht bin ich die Einzige, die Lust darauf hat, aber das wäre ja auch okay. Also fange ich einfach an. Wann hast du zuletzt etwas zum ersten Mal getan? Ich habe neulich das erste Mal die Note "ungenügend" vergeben. Das hat sich sehr komisch angefühlt und überhaupt keinen Spaß gemacht. Mit wem verstehst du dich am besten? Mit meinem Freund. Der gleichzeitig auch mein bester Freund ist. Worauf verwendest du viel zu viel Zeit? Unnötige Grübeleien. Was wenn meine Beziehung...