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Mein Friseur. Eine Liebeserklärung.

(Ling Hem Swee via etsy)
Es ist Zeit, mich einmal bei meinem Friseur zu bedanken, so ganz offiziell: lieber J., vielen Dank, Du rettest mir alle zwei Monate das Leben.
Den richtigen Friseur zu finden, ist ja nicht ganz einfach, ich habe Jahre dazu gebraucht.


Als Teenager habe ich keinen Friseursalon von innen gesehen, bah, Friseur war völlig ungrunge. Meine Haare waren lang - wirklcih sehr wichtig beim Tanzen - und ziemlich kaputt, denn meine beste Freundin A. und ich haben regelmässig die wildesten Farbexperimente durchgeführt, vor allem in Rot und einmal auch in Grün. Rot in allen Schattierungen, vom hellen orangerot über tomatenrot bis hin zu auberginenviolett (es war übrigens ein grosser Fehler, am Tag nach dem Tönen ins Freibad zu gehen, lila Sturzbäche liefen mir über Gesicht und Rücken und ich habe meinen großen Schwarm damit für immer vergrault).


1998 bin ich aus einer Laune heraus zum Billigfriseur neben dem Kaufland spaziert und habe mir die Haare ganz kurz abschneiden lassen, für 10 Mark, danach habe ich mir ein Eis gekauft und war am Abend ganz erstaunt, über den Zirkus, den alle veranstaltet haben, ja, gut die Haare waren ab, na und, gib' mir lieber noch ein Bier. Ich bin auch tapfer weiter dort hin gegangen, pff, 10 Mark, und bei kurzen Haaren kann man ja auch nicht viel falsch machen. (Doch, kann man, die Fotos beweisen es.)


2000 habe ich dann angefangen zu studieren und selbst die 10-Mark-Friseur-Besuche waren nicht mehr drin, ich war eine wirklich arme Studentin, und so wucherten die Haare so vor sich hin, bis sie wieder lang waren, wenn auch nicht so kaputt wie früher, ich habe die Farbexperimente weggelassen. Die Haare waren also lang und langweilig, sie fingen an, mir auf die Nerven zu gehen und ich jammerte so lange alle voll, bis mein guter Freund D., der entspannteste Typ der Welt, mich an der Stadtbahnhaltestelle völlig entnervt anfuhr: "Dann geh' halt zum Friseur, verdammt noch mal." Das tat ich und bin bei Illyas gelandet. Er war toll, hat mich verstanden und mir innerhalb von drei Besuchen wieder kurze Haare verpasst ("das muss man etappenweise machen, sonst ist der Schock zu groß, gerade für die Freunde"), ach, es war eine schöne Zeit mit ihm, auch wenn er manchmal richtig streng sein konnte: "NICHT DIE BEINE ÜBEREINANDER SCHLAGEN, DA WIRD DIE GANZE FRISUR SCHIEF!", aber sie war nicht von Dauer. Nach 2 gemeinsamen Jahren hat er mich verlassen, er ging nach Hamburg, einfach so und hat es mir nicht mal selbst gesagt.
Als ich davon erfuhr, habe ich furchtbar geheult, weil ich mich so hintergangen fühlte. Und so allein, was sollte nun aus meinen Haaren werden?


Die Suche begann von neuem und führte mich zu Jens. Den hatte mir K. empfohlen, er hatte seinen Salon in ihrer Nachbarschaft und sie ging regelmässig zu ihm. K. kenne ich seit 1984 und seit 1984 werden wir für Schwestern gehalten. Und seit 1984 haben waren ihre Haare nie länger als maximal kinnlang - wer konnte also kompetenter sein? Ich ging also zu Jens. Und litt. Denn er konnte zwar gute Kurzhaarschnitte, es war auch nicht teuer, aber er sagte ständig Sachen wie "ciaole", "tschüssikowski", "hö, hö, isch des geil oder isch des geil" und "Weiber über 30 sen wie Autos mit leckendem Kühlwasser - da holsch dir doch a neues, bevor du mit dem Teil noch ewig rummachsch." Aaaah. Ich hab' ja versucht, mich zu entspannen und darüber hinweg zu sehen, so wie K., aber die Feministin in mir hat es nicht erlaubt, nach jedem Besuch bei ihm hatte ich tagelang einen total verspannten Kiefer und auch an meiner Zornesfalte ist er nicht unschuldig. Wie hat K. das nur ausgehalten?


Ich war mal wieder verzweifelt, da hat mir A. von ihrem Friseur erzählt. Ob er Kurzhaarschnitt kann wusste sie nicht, aber sie  war sich ganz sicher, dass er niemals "ciaole" sagen würde. Das reichte mir. Und: ja, er kann Kurzhaarschnitt, viel besser als Jens. Er sagt auch tatsächlich niemals "ciaole", sondern begrüsst mich liebevoll mit "ah, mal wieder lang und blond". Auch wenn er sich mit über 50 anzieht wie ein 8-jähriges Mädchen (am Samstag trug er ein geblümtes Hemd, Jeanslatzhosen und apricotfarbene Stoffschuhe) und mir seine Ehe mit einem blutjungen Kleinkriminellen vom Balkan sehr unheimlich ist, bin ich glücklich, ihn gefunden zu haben. Bei ihm und seinen Zauberhänden (Wieso sind meine Haare bei mir nie so artig? Tja, ist vermutlich wie bei Kindern, die sich immer nur dann perfekt benehmen, wenn sie irgendwo zu Besuch sind.) fühle ich mich zu Hause und hoffe, dass er mich nicht verlässt. Hamburg hat doch nun wirklich genug gute Friseure.



Kommentare

  1. Großartig. Großartig. Du bist großartig. (Noch so eine Therapie gegen Herbstblues: Deine Texte lesen).

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  2. Eine wundervolle Liebeserklärung!! Wow, kannst du toll schreiben. Ich hätte noch stundenlang über Deine Friseurbesuche lesen können und hätte das für das sinnvollste der Welt gehalten! So schön und lustig - zumindest, wenn man nie vom "Ciaole" frisiert wurde.

    Mir geht es ähnlich wie Dir. Ich habe auch ewig gebraucht, bis ich zu meiner Friseurin gefunden habe. Jetzt genießen meine Haare ihre neugewonnene Freiheit und sind ganz lieb zu mir. Bei mir war übrigens der Kaufland-Friseur meine Mama. Warum zum Friseur gehen, wenn es bei ihr nichts kostet?? Grober Fehler. Vor allem, weil ihr Publikum ab 40 Jahre aufwärts ist. Da kann man sich einfach nicht in die Bedürfnisse der Haare einer Mittzwanzigerin hineinversetzen. Das habe ich nur sehr spät gemerkt.

    Aber jetzt ist alles gut. So wie bei Dir! Darauf ein großes Jippppieh und einen schönen Tag, Sindy

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  3. Ach, Ihr seid so lieb, ich werde ganz rot, vielen Dank!

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  4. Ich lieb es, wie Du schreibst. Egal ob über Dein neues Sofa, deinen kleinen Neffen oder den Friseur in aprikotfarbenen Stoffschühchen. Ich lieb es sehr!

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  5. ❘______________________________________________________________________ ❘

    So breit ist mein Lächeln. Mindestens.
    Und so rot sind meine Wangen: klatschmohnrot.

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