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Schreibt mehr Briefe. Ein Aufruf.

Write More Handwritten Letters
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Meine erste Brieffreundin hatte ich als ich acht Jahre alt war. Es war meine zehn Jahre ältere Cousine Barbara, die so nett war, meine Kleinmädchenbriefe (wie geht es dir, mir geht es gut, geht es dir auch gut) zu beantworten - danke dafür, wo immer Du steckst.

Es folgten Dina aus Ellerbek, ein Mädchen aus Finnland, dessen Name ich vergessen habe (der Buchstabe A tauchte mehr als einmal auf), und einmal gab meine Cousine zweiten Grades eine Anzeige in der Bravo auf und wurde mit Post aus der damals noch existierenden DDR zugeschüttet. Sie kam mit einem Wäschekorb voller Briefe zu uns und meine Schwestern und ich suchten uns die besten davon aus und beantworteten sie. Die Mädchen hießen alle Kathleen, Doreen, Nancy und Sandy und einer von ihnen schrieb ich jahrelang. Sie war Metalfan und hat mich Anfang der Neunziger sogar einmal in meinem klitzekleinen Wohnheimzimmer, das ich während meines FSJ bewohnte, besucht. Wir haben beide schnell gelernt, dass Brieffreunde zu sein nicht bedeutet, dass man sich auch in der Wirklichkeit gut versteht.

Ich habe es geliebt, Briefe zu schreiben, aber genauso habe ich es geliebt, Briefe zu bekommen. Jeder Tag, an dem ein an mich adressierter, bunt beklebter Umschlag auf dem Tisch lag, wenn ich von der Schule nach Hause kam, war ein guter Tag. Egal wie blöd er auch sonst gewesen sein mochte. Meinen ein Semester andauernden Versuch Soziologie zu studieren und die dazugehörige schreckliche WG (Ralf, Bernd, Günter: ich kann Euch noch immer nicht ausstehen, Ihr nerdigen Putzteufel!) habe ich nur dank der Briefe meiner Freunde überstanden. Dass Julie und ich immer noch Freundinnen sind, liegt sicher auch an den vielen Briefen, die wir uns im Vor-E-Mail-Zeitalter geschrieben haben.


Ich weiß gar nicht mehr, wann das aufgehört hat. Wann nur noch Versicherungen, Banken, Telefongesellschaften, GEZ und Finanzamt geschrieben haben und das bunteste im Briefkasten die Werbung vom Pizzaservice war (HALLO! DAS STEHT KEINE WERBUNG AM BRIEFKASTEN!!). Wann Facebook-Posts die Urlaubs- und Geburtstagskarten verdrängt haben und der Gang zum Briefkasten überhaupt nicht mehr aufregend war, was soll denn schon drin sein. Die Briefe haben sich aus meinem Leben ausgeschlichen, so nach und nach und beinahe unbemerkt.


Aber in letzter Zeit denke ich wieder darüber nach und vermisse das Briefeschreiben wieder. Vermutlich, weil ich in letzter Zeit ein paar Briefe bekommen habe und nun beim Aufschließen des Briefkasten wieder das alte Herzklopfen aufkommt, vielleicht liegt da ja ein von Hand an mich adressierter, bunt beklebter Umschlag oder eine Postkarte, und die Freude, wenn da tatsächlich etwas liegt. Eine Freude, die bei einem Post, den alle vierhundert Freunde lesen und sich dann auch gleich sämtliche hochgeladenen Strand-&Party-Fotos angucken können, niemals aufkommen kann, weil die Postkarte sagt: ich habe an Dich gedacht und wenn ich wieder da bin, habe ich viel zu erzählen, während der Post nur bestätigt, dass ich Teil einer Freundesliste bin.


Ich mag mein iPhone, sogar sehr (und das ist noch untertrieben), ich vermisse es nicht, stundenlang an Strassenecken auf verspätete Freunde zu warten - ein paar meiner Freunde war wirklich SEHR unpünktlich -, ein Leben ohne Internet kann und mag ich mir nicht mehr vorstellen, und ohne Facebook wäre der Kontakt zu Freunden, die weit weg leben, vermutlich schon abgerissen und ich wüsste gar nicht mehr, wie sie aussehen, aber ich bin froh, dass ich nicht damit aufgewachsen bin. Sonst hätte ich nicht diese Schachteln mit alten Briefen und Postkarten aus aller Welt (und auf allen, die aus Monarchien stammen, ist ein grinsendes Mitglied der königlichen Familie zu sehen, Prinz Haakon beim Schafehüten ist besonders schön), die ich hüte wie einen Schatz, und es reicht schon, einen Blick hinein zu werfen und mir kommen die Tränen. Ich hab' es eben ausprobiert.


Mein guter Vorsatz lautet also: weniger E-Mails, mehr Briefe oder zumindest Postkarten. Und dazu jetzt bestelle ich mir hier das.


Mag jemand mein Brieffreund sein?



Kommentare

  1. Deine Zeilen berühren mich tief und rufen auch in mir die Zeiten zurück, in denen der Gang zum Briefkasten noch etwas von einer Zeremonie hatte. Nicht gleich nachschauen, lieber noch etwas warten und die Spannung steigern. Dann den Brief in Empfang nehmen und sich beim Öffnen einen ganz besonderen Augenblick schaffen. Ja, das hätte ich gern wieder. Aber auch das Briefeschreiben fehlt mir. Meine Handschrift würde sich sehr bedanken, würden meine Finger nicht ständig nur auf einer Tastatur tippen, sondern sich mal wieder in Schönschrift üben.

    Also sage ich JA, ich möchte bitte sehr gern Deine Brieffreundin sein!

    Liebste Grüße, Sindy

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  2. Weißt Du, was in Bezug auf Briefe auch so mag? Diese vielen Gedankenaustausche (Schreibt mand das so? Merkwürdiges Wort) von Philosophen, Lyrikern etc. in denen sie sich über aktuelle Themen unterhielten. So eine schöne Art der Problemerörterung. Das würde ich gern mal tun!

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  3. ganz ehrich: briefe schaffe ich auch nur noch äußerst selten. aber ich bin groooßer postkartenschreiber! urlaubspflicht: 15-25 karten schreiben (und nein, da steht natürlich nicht überall dasselbe drauf!). und ich schäme mich sehr, wenn ich eine geburtstagspostkarte verpasse. ach, und weiiiiihnachten natürlich! deshalb killt mich dawanda irgendwann: weil ich da unendlich viele postkarten shoppe ... :)
    also: verrate mir deinen geburtstag und du bekommst echte post :)
    süßen gruß von der S. vom blech

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  4. Liebe Sindy, Deine Worte freuen mich sehr. Auch den Gedanke an den Gedankenaustausch (keine Ahnung wie der Plural davon heißen könnte) zwischen Philosophen & Schriftstellern finde ich schön - und die Liebesbriefe, die solche Menschen geschrieben haben. Ob irgendwann irgendwelche Liebes-Twitter-Messages oder -SMS oder so in Buchform von berühmten Menschen erscheinen? Schwer vorstellbar. Und wenn Du mir Deine Adresse mailst (vierundmutig@gmx.de) können wir loslegen - vielleicht noch nicht mit philosophischer Problemerörterung, aber überhaupt mal wieder mit dem Briefe schreiben.

    Liebe S. vom Blech, noch so eine Urlaubs-/Geburtstags-/Weihnachstkartenschreiberin wie ich, wie schön. Das mit der Geburtstagskarte für mich wird zeitlich knapp, der ist nämlich schonb morgen (hurra!), aber auch über eine Weihnachtskarte von Dir würde ich mich sehr freuen - mal schauen, ob wir bei Dawanda die gleichen Karten in den Warenkorb legen. Wenn Du magst, mail' mir doch auch zum Adressentausch!

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  5. Oh, ich will auch. Wobei. Eigentlich sind wir ja schon Brieffreunde, oder? Und Postkartenfreunde. Und überhaupt: Freunde. Worüber ich mich gar nicht genug freuen kann. Was bist Du nur für eine wunderbare Frau. Happy, happy Birthday, alles Liebe aus Berlin und ein dicker Geburtstagskuss! Cheers, auf Dich! Okka

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  6. Yep, das sind wir und das bleiben wir, das wünsche ich mir auf jeden Fall und wegen Geburtstag geht dieser Wunsch auch in Erfüllung. Hunderttausend Dank für Deinen Geburtstagsbrief übrigens - da haben wir ja schon wieder einen Brief - und das Armband trage ich schon, wie wundervoll ist das denn, ich freue mich so sehr!!! Dass ich für Dich einen mittrinke geht auch klar, vielleicht werden's auch zwei. Dir ein wunderschönes Wochenende in Hamburg (tolle Pläne!) und bis bald! Silke

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