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Soulfood

Ich war ein ziemlich schräges Kind, zumindest wenn 's ums Essen ging. Ich mochte kaum etwas von dem, was angeblich alle Kinder mögen, und was daher auf jedem Kindergeburtstag aufgetischt wurde: Pizza, Spaghetti mit Tomatensosse, Hawaii-Toast, Chicken Nuggets, Ketchup, Hamburger (erst als ich zwanzig war hat mir ein Burger geschmeckt und das auch nur, weil ein Joint im Spiel war), Marmorkuchen, Erdbeerkuchen, zumindest wenn er mit Tortenguss überzogen war, und so weiter. Das machte den Besuch solcher Veranstaltungen schwierig, ich schob Pizzastücke von links nach rechts, zermatschte Kuchen und traute mich nicht, zu sagen, dass ich das alles nicht essen mochte, weniger, um höflich zu sein, als aus Angst, nicht mehr eingeladen zu werden. Um nicht hungrig nach Hause zu gehen, musste ich eben beim Schokoladenessen gewinnen und da war ich, glaube ich, ziemlich rabiat. 
Andererseits liebte ich ein paar Abscheulichkeiten heiß und innig: ich bestrich eine Brötchenhälfte dick mit Butter und Kalbsleberwurst, legte die andere Hälfte darauf und freute mich, wenn die Butter-Wurst-Mantsche herausquoll, aß pausenlos Rosinen (mein Rekord lag bei einem Pfund, dann habe ich mich stundenlang übergeben und seither habe ich keine einzige Rosine mehr angerührt und werde es auch nie wieder tun.) und beim Frühstück musste sich mehr Zucker als Cornflakes in der Milch befinden.  


Wieso das so war, weiß ich bis heute nicht, was ich weiß, ist, dass ich auf Geburtstagen oder sonstigen Festen nicht mehr auf meine Durchsetzungsfähigkeit beim Schokoladenessen angewiesen bin, weil ich das angebotene Essen genießen kann und nicht schamhaft auf dem Teller hin und herschieben muss. Zum Glück. Zum Glück hat sich so manche Abneigung in Liebe verwandelt (Pizza, Spaghetti mit Tomatensosse), andere hingegen sind geblieben (Marmorkuchen und alles mit Tortenguss) und wenn ich an die Butter-Kalbsleberwurst-Kombination denke, wird mir übel. (Dafür stehe ich heute auf andere Abscheulichkeiten, neben mir steht eine Dose Vanilla Coke Zero.)


Eine Liebe, die schon immer eine Liebe war und bis heute eine Liebe geblieben ist, ein absolutes Glücksgericht, ist der Quarkauflauf, den meine Mutter seit ich denken kann für uns gemacht hat. 
Ich bin sonst überhaupt kein Fan von süßen Hauptgerichten, was Süßes gibt 's entweder zum Frühstück oder zum Nachtisch, basta, aber ach, dem Quarkauflauf bin ich verfallen.
Wenn ich meine Eltern besuche und mir etwas zu essen wünschen darf, sind das entweder Bohnensuppe und Pfannkuchen oder eben Quarkauflauf. Bis vor kurzem hatte ich absolut kein Interesse daran, ihn selbst zu machen. Teils aus Sorge, es zu versauen und mir selbst die Lust daran zu verderben, teils weil es zur Magie dieses Gerichts gehört, dass ich mich wieder wie ein Kind fühle, wenn meine Mutter es für mich macht. Ich bin zehn Jahre alt, komme von der Schule nach Hause, setze mich an den Tisch, streite mit meinen Schwestern, wer die Kruste des Auflaufs bekommt (oh diese Kruste!) und weiß ganz genau, dass es kein Problem auf dieser Welt gibt, das meine Eltern nicht für mich lösen können.
Tja, jetzt habe ich es versucht und festgestellt, dass a) er bei mir (fast) genau so wird wie bei Mama und b) er mir auch am heimischen Küchentisch wieder ein Gefühl von Geborgenheit gibt. Auch wenn ich den Quark durch Sojajoghurt ersetzen muss, wenn ich keine Bauchschmerzen riskieren will.


An diesem verschnupften Wochenende hat er sein glücklichmachendes Werk wieder getan und wer 's auch mal probieren will, bitte sehr (ausreichend für eine hungrige Person mit extrem großem Geborgenheits-/Trost-/Wärmebedarf und der Möglichkeit, sich nach dem Essen den Rest des Tages auszuruhen und das kugelige Fressbäuchlein zu streicheln, ansonsten reicht 's für 2-3 Personen):





Man nehme:
* 500 g Quark (Fettgehalt nach Geschmack) * 75-100 g Zucker * 60 g Speisestärke * 2 gestrichene Teelöffel Backpulver * 3 Eier * 15 g Butter * 2 Esslöffel Semmelbrösel 


Den Ofen auf 175°C vorheizen, die Eier trennen. Eiweiß steif schlagen und beiseite stellen. 
In einer Schüssel Quark mit Zucker, Stärke, Eigelb und Backpulver verrühren. Ich mische meist noch 1 Teelöffel Zimt und/oder Vanillepulver dazu.
Das steif geschlagene Eiweiß vorsichtig unterheben. (Ich benutze dieses Ding, das ist großartig.)
Die Masse in eine gefettete Auflaufform geben und mit Semmelbröseln und Butterflöckchen bestreuen. (Ich gebe immer Obstwürfel in die Auflaufform, bevor ich die Auflaufmasse einfülle, meist Äpfel und Birnen, aber auch Pflaumen, Nektarinen, Kirschen oder diverse Beeren machen sich hervorragend.)
Im vorgeheizten Ofen 60-70 Minuten backen. 
Kurz abkühlen lassen, in sich rein schaufeln und dann entweder auf 's Sofa (siehe oben) oder irgendwas machen, was man als Kind gern getan hat. Ich hätte am liebsten Neues aus Uhlenbusch geguckt, es kam aber nur Werbung für Bauchmuskeltrainer, deshalb bin ich ein wenig raus, durch Laubhaufen pflügen.


Und so war's doch ein schönes Wochenende. Danke, Quarkauflauf. Und vielleicht lag's auch ein bisschen daran. Dieser Laden, ach, ach. Ich geh' immer nur zum Gucken rein und komm' immer mit Schuhen raus. Ach, ach.













Kommentare

  1. Ja, diese Gerichte, die einfach nur bei Mama/Oma so einzigartig nach kindlicher Geborgenheit und Leichtigkeit schmecken. Die kenne ich! Und auch ich möchte den Zauber nicht brechen, indem ich diese Sachen zum Alltäglichen werden lasse. Aber manchmal geht es leider nicht anders. Meine Omas sind schon gestorben und was mir bleibt, sind die Gerichte, die ich nun selbst zubereite und dabei an sie denke. Und daran, wie sehr viel leckerer sie doch bei meiner Oma geschmeckt haben. Damals, als man noch nach Hause kam und es schon warm war und herrlich nach Gebackenem duftete! Das sind schöne Erinnerungen!

    Und heute? Heute versuche ich dieses Gefühl an meine Tochter weiterzugeben. Aber ist Dir aufgefallen, wie schwierig es heute ist, ein Gericht immer und imme wieder zuzubereiten? Zu groß ist die Auswahl und zu groß der Entdeckerdrang ..

    Liebe Grüße, Sindy

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  2. Stimmt, Auswahl und Entdeckerdrang sind riesig, meine Liste mit Sachen, die ich unbedingt mal ausprobieren will ist endlos... Aber wenn die Seele das Essen nötiger hat als der Körper, hat sich's bei mir mit der Experimentierfreudigkeit, dann brauche ich etwas, von dem ich weiß, dass es funktioniert und greife auf meine handvoll Patentrezpte von Mama zurück. Oder lasse mich wenn möglich von ihr bekochen.
    Und ich bin sicher, dass Deine Tochter auch von solchen Gerichten und Erinnerungen durch ihr Leben begleitet wird.

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