Big Time Lamentieren

Vorsicht, jetzt kommt Gejammer. Job-Gejammer. Lehrer-Gejammer.  Weil ich hab' gerade Jobfrust, schlimmen sogar.
Weil momentan so unfassbar viel zu tun ist. Und vor allem weil ich in den letzten Tagen Examensklausuren korrigiert habe. Und das war kein Spaß, überhaupt kein Spaß, der wenigste Spaß ever. Ich konnte immer nur ungefähr drei am Stück lesen, mehr wäre gefährlich für meine psychische Gesundheit gewesen. Und vielleicht auch für die physische, weil ich immer kurz davor war, meinen Kopf gegen die Wand zu hämmern.
Wer hat das geschrieben?  Wie kann man so was nur schreiben? Haben die überhaupt irgendwo schreiben gelernt? Was haben die in den letzten drei Jahren nur gemacht? Das können die doch nicht ernst meinen. Ich muss noch mal nachgucken, da fehlt doch sicher noch ein Blatt, das Blatt, auf dem die guten Sachen, die richtigen Sachen stehen. Die, die beweisen, dass da doch irgendwo was angekommen ist. Bisher habe ich nichts gefunden, so weit her scheint es mit den Multitasking-Fähigkeiten von Frauen doch nicht her zu sein, vor mir liegt ein Stapel Beweise, dass Glamour lesen, SMS schreiben oder geflüsterte "Und dann er so, und dann sag' ich so, und dann meint er, und dann kommt noch die und ich irgendwie so leck' mich"-Unterhaltungen die Aufnahmefähigkeit doch beeinträchtigen. Wieso mache ich das überhaupt, wenn so was dabei rauskommt? Wie konnte ich hier landen? Hab' ich im Leben nicht aufgepasst und deshalb die Ausfahrt nach Gut Bezahlt,  Ermöglicht Reisen an Exotische Orte und Interessiert Andere Menschen Total verpasst?

Das geht mir oft so, wenn ich Arbeiten korrigiere, nicht nur bei Examensklausuren. 
Ich rege mich fürchterlich auf, schimpfe laut, bis mein Kollege nebenan gegen die Wand haut (dabei kann der ganz ruhig sein, er telefoniert nämlich immer wahnsinnig laut),  und schicke meinen Freunden S. und C. im Minutentakt Mails, in denen ich mein Leid klage, garniert mit Sätzen wie "wenn eine Pflegekraft das nicht einhält kann es dann zu einer Epedimie ausheulen und die Pat. erkranken daran" oder "Diffusion = hindurchkommen durch etwas, Molekühle können einen Zellmembran passieren durch Kommunikation untereinander. Es können jedoch nicht alle Molekühle hindurch passieren. Erleichterte Diffusion ist, wenn sich ein Carrier-Molekühl ein z.B. Fett oder Glycose Molekühl auf den Rücken spannt", ich will ein bisschen Mitleid und Verständnis. Die finden dann immer, dass ich mich anstelle, ist doch lustig, haste was zu lachen, hahaha.  
Hm, stimmt schon, es ist lustig, zumindest für Außenstehende, ich glaube, ich würde auch darüber lachen, aber für mich ist es auch traurig, ärgerlich, deprimierend. Ich meine,  solche Sätze sind das Ergebnis meiner Arbeit, verdammt, immerhin bin ich die, die sich total Mühe gegeben hat, pädagogische Feuerwerke abgefackelt, bumm krach zisch, Bilder, Beispiele, haste nicht gesehen - und dann so was? Ich meine, echt jetzt. Das ist das was übrig bleibt?? Wie kann es sein, dass die Worte, die meinen Mund verlassen, diese einfach gehaltenen, oft wiederholten Erklärungen, sich auf dem Weg in die Gehirne der Zuhörer in solchen Müll verwandeln? Denn dass sich irgendwelche Molekühle andere Molekühle auf den Rücken spannen, das habe ich nie gesagt. Oder doch? Nee. Aber wenn die das hinschreiben? Nee, auf keinen Fall.


Ach, ich verstehe meinen alten Deutschlehrer immer besser. Der hat sich immer wenn's besonders schlimm war auf's Fensterbrett gestellt und zum offenen Fenster "auf Wiedersehen, grausame Welt, ich halte es nicht mehr aus" gebrüllt, während wir verschüchtert da saßen, vor allem T., die mit der Verwechslung von Jugendstil und Jugendsprache das ganze Drama ausgelöst hatte. Das Bedürfnis loszubrüllen habe ich auch, jetzt gerade. Vielleicht sollte ich es einfach mal machen, vielleicht entspannt es mich ja total.  Und wenn nicht: hat jemand einen neuen Job für mich?