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Abenteuerland.


Das Abenteuerland ist nicht das Land, in das ich auswandern möchte. Ich bin kein Abenteuermensch. Ich bin ein Sicherheitsmensch. Ich mag Sicherheit, Sicherheit finde ich gut. Immer, im Alltag und im Urlaub. Ich muss wissen, dass es auf meinem Weg ausreichend saubere Klos gibt, dass am Ende des Tages eine Dusche und ein Bett auf mich warten, beides frei von Ungeziefer. Ich kann nicht von der Hand in den Mund und von Tag zu Tag leben. Es würde mich verrückt machen, nicht zu wissen, ob ich im nächsten Monat die Miete zahlen kann. Der Gedanke daran, alles Alte, Gewohnte aufzugeben, um etwas Neues auszuprobieren, von dem ich nicht weiß, ob es funktioniert, macht mir Angst.

Aber ich bewundere Menschen, die das können. Einfach losziehen, sich fallen lassen, fuck it, was soll schon passieren. (Oh, mir fällt da immer eine Menge ein, was passieren könnte. Begegnungen mit Axtmördern zum Beispiel.  )

Wie die zwei ehemaligen Schülerinnen, die nach der Ausbildung einmal um die Welt gereist sind. Wohnung und Job gekündigt, Flugticket gebucht und ab dafür. Gerade sind sie in Panama und finden es sehr schön, auch wenn es weniger nach Bananen riecht, als sie sich erhofft haben. Was ich auch könnte: ein Jahr lang keine geschlossenen Schuhe tragen, mich ein wenig in fremden Städten verlaufen, am Strand sitzen, fremdes Bier trinken. Was ich auf keinen Fall könnte: nicht wissen, wo ich morgen schlafe. Riesige Käfer, Spinnen, Kakerlaken, Ratten als Zimmergenossen akzeptieren. Mit feuchten Unterhosen rumlaufen, weil irgendein Tropenregen alles durchnässt hat.

Oder mein guter Freund E., der mir vorgestern von seinem neuen Job, erzählt hat. Irgendwas mit Computern bei einer Software-Firma, glaube ich (sobald mir jemand sagt, dass er beruflich mit Computern, Software, IT oder was es da alles gibt, zu tun hat, nicke ich lächelnd und lausche der fröhlichen Tanzmusik, die automatisch in meinem Kopf zu spielen beginnt), ganz sicher weiß ich noch, dass sein Boss momentan auf seiner Yacht in Mallorca ist, Informationen wie diese kann ich mir sofort merken. Jedenfalls wird E. in 6 Wochen für ein Jahr nach Indien in die Nähe von Mumbai gehen und Computersachen machen, auf die er spezialisiert ist (ich traue mich auch nicht, die Leute nochmal zu fragen, was sie nun genau machen, weil ich ja so getan habe, als hätte ich es kapiert) und danach in die USA, wenn alles gut läuft für immer. Jetzt ist er dabei sein Leben aufzulösen, einfach so, innerhalb von 2 Monaten. Er weiß nicht, was auf ihn zukommt, er weiß nur, dass er seinen Boss mag, in Indien eine Köchin, eine Haushälterin und einen Gärtner haben wird und dass das Städtchen, in dem er in den USA leben wird, einen ganz tollen Hafen für Segelschiffe hat und segeln wollte er schon immer mal. Klingt doch schon ganz gut.

Das Treffen mit ihm hat mich nachdenklich gemacht. Er wird mir furchtbar fehlen, wir kennen uns seit 20 Jahren und er ist der beste Restaurantbegleiter der Welt und er kennt wahnsinnig gute Bücher, meine Güte, ich muss gleich wieder heulen. Ich freue mich für ihn, denn er hat sich eine große Veränderung in seinem Leben schon so lange gewünscht und so sehr verdient (und die türkische Wahrsagerin, die seine Mutter nach seiner Geburt konsultiert hatte, hat so was auch vorausgesagt). Ich freue mich auch für mich, denn ich habe neue Urlaubsziele, Indien, wah, toll - das mit den Klos, Betten und Duschen ist ja geklärt - und er hat mir angeboten, eine Scheinehe mit mir einzugehen, wenn er seine Greencard hat. Hm, immerhin eine Option. Außerdem kriege ich seinen fast neuen Kühlschrank zum Spottpreis und kann das 40 Jahre alte Monster mit Energieeffizienzklasse Z -  endlich entsorgen, er schenkt mir auch seine Istanbul-Magnete dazu, damit ich ihn nicht vergesse. Aber ich bin auch ein bisschen neidisch, weil er sich traut,  diesen Schritt zu machen, und ich frage mich, könnte ich das auch? Sollte ich das können? Muss ich das können? Oder ist alles schon okay so? Fragen über Fragen. Ach, ich glaube, es ist schon in Ordnung so. Und ein klein bisschen Abenteuer habe ich ja auch, ich darf ab dem Wintersemester nochmal studieren, berufsbegleitend und vom Arbeitgeber gefördert, gestern kam das endgültige Okay und ich habe Herzklopfen. Vielleicht beantwortet ja dann das Studium meine Fragen, Psychologie sollte doch so was können, oder?

Kommentare

  1. Liebe Silke, hättest Du mich jetzt den Eintrag lesen gesehen, Du hättest bemerkt, wie mein Kopf immer leicht genickt hat, unaufhörlich, immer weier. JA, so viele Aussagen, die ich genaus so unterschreiben würde. Und lass Dir sagen, man muss nicht in die weite Welt reisen, um ein lebenswertes, aufregendes Leben zu haben. Das geht auch so. Und nein man verpasst nichts. Außer vielleicht Unsicherheit, viele fremde Menschen, unhygienische Zustände, merkwürdiges Essen und in manchen Gegenden viel zu warmes Wetter. Braucht man alles nicht und den meisten geht das auch auf den Nerv. Aber das zugeben? Niiiemals! Lieber schön weiter schwärmen und die anderen denken lassen, wie schön das Leben doch ist, wenn man alles umwirft, was man sich aufgebaut hat ..

    Das kenne ich durch meine beruflichen Reisen nur zu gut. Wieviele haben mich beneidet, weil ich so viel rumkomme .. Ja, aber was hab ich davon, wenn ich bis zu 16h am Tag arbeite? Da sehe ich auch nicht mehr als das Hotel und die sind vor allem in den USA schrecklich. Das Bett ist zu weich, die Decke zu groß und der Teppichboden ist so dick, dass ich nich wissen will, was da alles drin ist. In den USA hab ich auch den Zusammenbruch meines Lebens erlitten. 2 Wochen war ich dort in der Provinz und habe mich überhaupt nicht wohlgefühlt. Nichts war von der Offenheit, die propagandiert wird, zu spüren. Überall übergewichtige Menschen, Schlangen am McDrive und an dem DriveInn der Apotheke (braucht man das?) und Tristess en masse. Ich war froh als die 2 Wochen vorbei waren. Und dann steh ich am Terminal und der Inlandsflug nach Chicago wurde abgesagt, so dass ich nicht wegkam. Mir ging es noch nie so schlecht. Und das nicht, weil ich mich restlos betrunken habe, um die Nacht zu überstehen .. In diesem Moment und auch schon viele Mal zuvor, wurde mir bewusst, dass ich einfach nur in Deutschland bleiben will. Ich brauche Strukturen, Sauberkeit und Regeln. Paris ist schön. Als Tourist. Dort zu leben und zu arbeiten war für mich manchmal die Hölle. Weit weg von den Attraktionen ist alles so dreckig. Ständig (wirklich ständig!!) springt man über Urin-Rinnsale, die über den Bordstein laufen und es stinkt erbärmlich. In der Metro stehst Du dicht an dicht an Menschen, die Du nicht kennst und die Du nicht magst. Das Essen in "normalen" Restaurants ist erbärmlich. Fleisch, Fleisch, Fleisch und dann noch nicht mal Gutes.

    Freue Dich auf Deinen Urlaub in Mumbai und auch in Paris und sei froh, dass Du da nicht leben musst. Denn das ist eine ganz andere Dimension!

    Der Schritt berufsbegleitend zu studieren und es dann auch durchzuhalten bedeutet viel mehr, als in irgendein Land auszuwandern. Ich freue mich so für Dich und bin gespannt, was Du berichtest. Psychologie. Wow. Ob ich den Mut hätte, Dinge über mich zu erfahren, die ich zwar weiß, aber bewusst ignoriere!? Du wirst viel über Dich selbst lernen und das ist aufregender und gesünder als dreckiges Essen in Indien!

    Liebste Grüße von Sindy der Romanschreiberin :)

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  2. Liebe Sindy, ich stehe auf Deine Romane und ich stehe auf Deinen Brief, sehr, sehr toll. Und mehr gibt's dann in dem Brief, den ich morgen schreiben werde. Liebste Grüße, Silke

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  3. Ach Silke. Immerzu sprichst Du mir aus der Seele. Fast verrückt! Und ich frage mich auch, ob ich nicht können sollte, wovor ich mich tief in mir ziemlich scheue. Bin wie Du, noch zu keinem Entschluss gekommen...

    GRATULATION zum Studium. Wow!

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