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ein Brief

Lieber E,
jetzt ist es schon über anderthalb Jahre her. Ich weiß noch genau wie mein Herz aussetzte, dieser fürchterliche Moment, wenn das Herz schon vor dem Kopf weiß, dass etwas ganz Schlimmes passiert ist, als in meiner Facebook-Timline die Meldung aufploppte, dass du vermisst wirst und die Polizei nach dir sucht. Und mir war sofort klar, dass du tot bist. Ich hab' dich zwar noch angerufen und dir Nachrichten geschrieben, aber ich wusste es. Auch ohne das Schwarz-Weiß-Foto, das du vor deinem Verschwinden hochgeladen hast. Meine Güte, Blumen, die die Köpfe hängen lassen, geht es noch melodramatischer? Dafür werde ich dir irgendwann, wenn wir uns wieder sehen, eine reinhauen. Ich weiß auch noch genau wie ich an diesem kalten Märzsonntag auf dem Weg ins Fitnessstudio weinend mit einem Freund telefoniert habe. Wie ich versucht habe, mir die Angst und die Wut aus dem Leib zu rennen. Natürlich hat es nicht funktioniert und auf dem Heimweg war sie da, die Meldung. Man hat dich tot gefunden. Ach E.
Wir haben uns nicht mehr oft gesehen, anders als früher, trotzdem fehlst du mir jeden Tag, du warst so lange Teil meines Lebens. Wie alt war ich? Auf jeden Fall noch ein Teenager. So lange kannten wir uns. Auch wenn du gegangen bist, bist du immer noch da. Wenn ich den Kühlschrank aufmache, den du mir vermacht hast, bevor du weggezogen bist (erinnerst du dich an das schlechte Gewissen, das du völlig zu Recht hattest, weil er noch monatelang nach kaltem Rauch gestunken hat?). Wenn ich das Foto von uns sehe, das an der Kühlschranktür hängt. Es wurde auf einer Geburtstagsfeier vor vielen Jahren gemacht, ganz jung sind wir und wir sehen fröhlich aus, Bierflaschen in der Hand, Zufriedenheit und Zuversicht in den Augen. Wenn ich die Postkarten lese, die du geschrieben hast, während du im Ausland gelebt hast. Ich habe mich über jede einzelne so sehr gefreut und war nur ein bisschen ärgerlich, weil du mir nie deine Adresse gegeben hast, ich wollte dir nämlich unbedingt zurück schreiben. Wenn ich irgendwo einen Dudelsack höre, dann denke ich an den Abend, an dem du mich zu einem Auftritt deiner Pipe Band mitgenommen hast, ich saß als einziges Mädchen in einer Umkleidekabine zwischen lauter Männern im Kilt und habe vergessen zu gucken, ob sie was drunter getragen haben, du hast es mir jedenfalls nie verraten.
Und besonders fehlst du mir, wenn ich an den Abend denke, an dem wir uns das letzte Mal gesehen haben. In diesem kleinen thailändischen Restaurant, zwischen Weihnachten und Silvester, und du warst müde. Hast erzählt, dass es dir nicht gut geht. Du hast vom Nichtschlafenkönnen, vom Zuvieltrinken und vom Sichmitallemwegballern erzählt. Ich habe dich gebeten, auf dich aufzupassen, dich auf nichts einzulassen, was es dir noch schwerer macht. Ich habe es dich versprechen lassen, was für ein Quatsch. Die letzte Erinnerung, die ich habe, ist dein Lächeln und deine Umarmung zum Abschied und das ungute Gefühl, das ich hatte. Du warst immer von Dunkelheit umgeben, wenn wir uns getroffen haben, du hast so schwer getragen, ich glaube, am schwersten war dein gebrochenes Herz. Ich habe seither nicht mehr thailändisch gegessen und immer wenn ich an dem Restaurant vorbeilaufe, tut es weh.
Danach hast du mir noch einmal geschrieben, eine Antwort auf meine Neujahrswünsche, ganz kurz und irgendwie abweisend. Ich war besorgt und ein bisschen beleidigt und ich habe Dir erstmal nicht geantwortet, nicht antworten wollen. Später habe ich es vergessen, du weißt ja, das ist, wenn Nachrichten im Telefonspeicher und im Gedächtnis immer weiter nach hinten rutschen. Das werde ich immer mit mir rumtragen. Ich weiß, es hätte nichts geändert, aber trotzdem tut es weh.

Das ist für dich, lieber alter Freund. Ich vermisse dich so.  Dass du nicht mehr da bist, wird nie leichter. Nur realer.

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