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I can see clearly now...

In der Grundschule wollte ich unbedingt eine Brille tragen, weil, wie mir schien, alle anderen Kinder auch eine hatten, vor allem meine besten Freundinnen Susi und Tine. Was für ein bescheuerter Wunsch. Und wie das so ist, mit bescheuerten Wünschen: er wurde mir erfüllt. Und zwar richtig. Ich wurde zum kurzsichtigsten Menschen der Welt. Auf den alten Klassenfotos führe ich die scheusslichsten Brillengestelle der 80er und 90er Jahre vor (bis zum Besten von heute hat's nie gereicht), ich erinnere mich mit Grausen an ein Folterinstrument namens "Sportbrille", das vermutlich einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass mir der Schulsport so verhasst war. (Neben Fr. S, der blöden Mistkuh, nein, ich kann immer noch kein Handstand-Abrollen und ich bin stolz darauf! Eat this, bitch!)
Ich bin wegen der beschlagenen Brillengläser jahrzehntelang durch Clubs gestolpert, bin blind im Freibad umhergetappt, um mein Handtuch wieder zu finden - ha, ha, sehr witzig, Freunde, echt lustig, dabei zuzugucken -, habe mir die bange Frage gestellt, ob man damit überhaupt knutschen kann, konnte nach 2 Minuten heulen im Kino wegen der tränenverschmierten Gläser die Leinwand nicht mehr erkennen (wie ging Titanic eigentlich aus?), das volle Programm.
Und Kontaktlinsen? Auch nicht besser. Verloren, verrutscht, vergessen. Sie waren mir Segen und Fluch zugleich. Bis zu dem Tag, an dem meine Augen genug hatten von dem ganzen Scheiß und rebellierten. Nichts ging mehr. Erwähnte jemand im Fernsehen das Wort "Kontaktlinse", begannen meine Augen zu tränen und zuzuschwellen.
Ich musste mich wohl oder übel mit meinem Schicksal abfinden. Brille forever. Sieht ja auch gut aus, passt zu mir, ich hab' ein Brillengesicht. Andere haben echte Probleme, also jammer nicht. Mimose. Hey, du und James Dean, hab' ich Recht?

Vor 2 Wochen nun: Schluss damit, ich habe es getan, ich habe mir die Augen lasern lassen. Das ist die Art Prozedur, bei der alle, die davon hören erst entzückt "wah, du hast dich getraut, erzähl' alles" kreischen, um spätestens an der Stelle "und dann haben sie die Hornhaut aufgeklappt..." empört "boah, erzähl' doch nicht so was" auszurufen. Es ist kein Spaziergang, obwohl es nicht weh tut - unglaublich, dass es Augentropfen gibt, die so was können -, man muss eine Weile mit einer ziemlich unsexy Schutzbrille schlafen, sehr oft, sehr viele verschiedene Augentropfen nehmen (nicht lang schnacken, Kopp in Nacken!), darf nicht schwimmen und nicht reiben. Oder war's reiten? Egal.
Jedenfalls, ich sehe und das ist jeden Cent und jeden Schlafbrillenabdruck wert und ich frage mich, warum nicht schon viel früher. Vor allem die ersten Tage nach der OP bin ich mit doofem Dauergrinsen durch die Welt gelaufen und habe einfach nur geguckt. Alles und jeden angeguckt und noch mehr gegrinst. Gegrinst, weil ich die Augen aufmachen & sehen kann. Gegrinst, weil ich unter der Dusche was sehe. Gegrinst, weil ich die Sonnenbrille abnehmen kann und die Welt immer noch da ist. So lange und viel geguckt und gegrinst, bis Augen und Mundwinkel müde wurden und alle sagten "bist du jetzt endlich mal fertig mit gucken und grinsen?" Nein. Noch lange nicht. Ich gewöhne mich so langsam daran, aber ich freue mich immer noch wie blöd und es passiert auch, dass ich eine nicht vorhandene Brille abnehmen oder hochschieben will.

Worauf ich allerdings noch verzichten muss, insgesamt vier Wochen lang, also jetzt noch zwei: Augen Make-up. Keine Wimperntusche, kein Eyeliner, kein Lidschatten. Ich laufe jeden Tag mit meinem richtigen Gesicht rum, völlig nackt. Das hat den Vorteil, dass es doch schneller geht im Bad, trotzdem freue ich mich darauf, wieder damit anzufangen. Wir görls halt. Vermutlich muss ich alles ganz neu lernen, es wird komisch sein, zu sehen, was ich da tue, statt mit der Nase am Spiegel zu kleben. Vielleicht wird es wie damals, mit dreizehn, als ich angefangen habe, die Schminktipps aus der Mädchen umzusetzen, 80er Jahre, viel blau, viel weiss, viel metallic, dazu Teenager-Pickel. Natürlich ein Desaster, ich erinnere mich daran, dass meine Mutter mal mit einer Nachbarin darüber geredet hat und sagte "damit hab' ich nix zu tun, da muss sie selber durch". Ich habe ganz alleine das hingekriegt, wofür Teenies heutzutage in Boris Entrups Make Up School (uah!) müssen, und zwar magna cum laude.

Jetzt geht sie also los, die Suche nach der besten Wimperntusche der Welt. Tipps, anyone?

Kommentare

  1. Waaah! Darf ich trotzdem verzückt kreischen und rufen: "Erzähl wie es war, wie hast du es machen lassen und ist es fies?"

    Ich hab auf beiden Augen minus 10 komma irgendwas, seit der 4. Klasse immer schlechter werdend, und das Lasern ist mein Traum. Mit Brille kann ich mich nicht leiden, weil man ihr trotz Superexklusivgläsern die Stärke ansieht, außerdem hab ich leichte Panik vor einer Gleitsichtbrille in 3 Jahren oder so, wenn die Altersweitsichtigkeit einsetzt.;-)

    Und mit Linsen ist es schön und gut, aber eben auch nur 6 Stunden am Tag un irgendwie hat meiner mehr Stunden.

    Ich würd das so gern machen lassen, aber ich hab total Muffe davor, wenn die mal nicht an die Augen müssten dabei...
    Hach, würd so gern abends mal überm Buch einschlafen, ohne sofort "Die Brille!" zu denken. Oder nachts im Dunklen das Zifferblatt des Weckers erkennen, ohne aufstehen zu müsssen. Und ich würde als allererstes ins Schwimmbad gehen und tauchen! Mit offenen Augen!

    Oh Mann, ich bin neidisch, ich trau mich das nicht.
    Hat es echt nicht weh getan? Kann man sehen, was die machen?

    Glückwusnch zu den neuen Augen!
    Anne

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    1. Klar darfst Du, ich erzähl' das gern! Ach, ich kann Dich so gut verstehen. Ich hatte -7 auf dem einen und - 9,5 auf dem anderen Auge (wir sind also in einer ähnlichen Liga) und ich mochte die Brille schon irgendwie, weil ich tatsächlich ein Brillengesicht habe, aber der Effekt der Superexklusivgläser hat mich auch gestört.

      1. Es hat echt überhaupt nicht weh getan. Aber es war trotzdem unangenehm, weil man so von Geräten umzingelt daliegt, sich auf einen grünen Punkt konzentrieren, auch das gerade nicht behandelte & daher nicht fixierte Auge offenhalten soll, es wird die ganze Zeit gespült, man soll irgendwo hin gucken und beim Lasern selbst riecht es nach verbranntem Haar. Auch direkt danach ist es unangenehm, die Augen sind halt gereizt, es ist wie beim Zwiebelschneiden. Aber mit Augentropfen und nach ein paar Stunden ist es super. Und es geht schnell: beide Augen in ungefähr 10-12 Minuten.
      2. Nee, man sieht nicht, was sie machen, dazu ist man zu blind. Also ich zumindest. Aber die Ärztin hat mir ziemlich genau erklärt, was gerade gemacht wird.
      Ich kann nur sagen, ich bin froh, dass ich's gemacht habe. Unglaublich froh, auch wenn ich am OP-Tag kurz überlegt habe, das alles doch sein zu lassen und lieber Eis essen zu gehen. Lass' Dich doch einfach mal beraten, ob & was da bei Dir geht. Mir haben sie auch gesagt, dass auf dem stärker fehlsichtigen Auge so ca. -1,5 bis -2 Dioptrien bleiben könnten, weil's in dem Bereich kritisch wird mit Hornhautabtragung, aber tatsächlich ist nix mehr da. Yeah. Jetzt warte ich auf Altersweitsichtigkeit & Lesebrille...

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  2. Puh. Hallo Silke, ich war gerade Dienstag auch beim Beratungsgespräch. Meine Hornhaut hat eine Unregelmässigkeit, mit der man eine Nicht-Aufschneide-Variante zum Aufklappen der H-Haut machen muss. Sonst ist alles gleich, aber das bessere Sehen stellt sich erst -nach und nach- nach ca 12 Wochen und schmerzt länger (zwiebelmässig). Davor graut mir. Quasi die Panik im Kopf. Ich hab nur -4, aber die selben Beschwerden wie Ihr. Brrrr.... Irgendwie unheimlich, so was zu planen. Find ich grad super, dass Du´s aktuell gemacht hast und drüber schreibst.
    Liebe Grüße!

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    1. Liebe Nicole, dann drücke ich Dir ganz, ganz fest die Daumen! Ich finde, es lohnt sich. Es lohnt sich so sehr, dass die Nebenwirkungen im Vergleich zum Ergebnis winzig klein sind. Schmerzen lassen sich mit Ibuprofen gut beherrschen, ich hatte nur ab und zu einen Stechen (vor allem bei den antibiotischen Augentropfen) und Brennen und mittlerweile gar nichts mehr. Und das Sehen wird täglich besser, auch bei mir hieß es, dass die endgültige Sehschärfe erst nach 3 Monaten erreicht ist - und ich weiss jetzt schon nicht, was da noch besser werden soll...
      Liebste Grüsse und toi, toi, toi! Das wird super! Silke

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  3. Ich habe auf beiden Augen 120 Prozent Sehkraft und bin damit die einzige in meiner Familie. Wenn ich hier so lese von euren Leidensgeschichten im Freibad und in der Dusche, dann bin ich wieder ein mal mehr so unglaublich dankbar, dass das Blindschleiche-Gen in meiner praenatalen Entwicklung wohl irgendwie unter den Tisch gefallen ist! Gerade wegen meiner (im wahrsten Sinne des Wortes) nicht zu trübenden Sehstärke habe ich ein besonders übersteigertes Empathieverhältnis zu Brillenträgern entwickelt. Als Woody Allen in "Woody, der Unglücksrabe" die Brille zertreten wurde, floßen bei mir direkt bitterliche Tränen im Fernsehsessel. Und wenn sich ein Grundschulkind mit einem Nasenrümpfen die Glubschbrille zurück auf die Nasenwurzel schiebt, muss ich das spontane Bedürfnis, es in meine Arme zu schließen und nie mehr loszulassen, ganz schnell unterdrücken. Und wenn Jude Law in "Closer" eine Brille trägt, dann denke ich sogar nicht wie sonst "uäh, Jude Law", sondern "hach. jude law".
    Dass mein erster Freund ohne seine Brille blind wie ein Maulwurf war, ist sicher kein Zufall.
    Brillenträger und ich, das ist eine sehr romantische Liebesgeschichte. Und ich fühle mit euch. Herzlichen Glückwunsch, dass du so mutig warst!

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    1. Liebe Rebecca, wie schön zu hören, dass es Adleraugen gibt, die sich in Blindschleichen einfühlen können, ist ja nicht so oft. Ich stamme aus einer Familie von Scharfsehern und meine Eltern konnten sich bis zu meiner OP nicht vorstellen, wie es für mich war. Jetzt sagen sie "oh Gott, oh Gott, wenn wir das geahnt hätten, warum hast du's nicht früher macht?".
      Also: behalte die romantische Ader für Brillenträger - ich werd' auch immer eine von ihnen sein!
      Allerliebste Grüsse, Silke

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