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Bad Music and me


Peinliche Lieblingslieder, oh oh. Ich habe ganz, ganz viele und mir schon sehr oft überlegt, was denn an diesen Songs überhaupt peinlich ist, wieso schäme ich mich dafür, ist doch nur ein Lied, darf ich doch mögen, geht doch keinen was an, oder?

Vielleicht ging es dem Psychiater und Philosophen Erwin Straus auch so, denn er hat sich unter anderem mit dem Thema Scham auseinandergesetzt und folgendes gesagt: Peinlichkeit gehört zur Schamfamilie und Grundlage der Scham ist das Bewusstsein, durch bestimmte Handlungen oder Äußerungen sozialen Erwartungen nicht entsprochen, beziehungsweise gegen herrschende Normen und Regeln verstossen zu haben. Und ich finde, er hat Recht. Auch und gerade wenn's um Musik geht.
Hört man die peinlichen Songs allein, singt und hopst man durch die Wohnung , sind es keine peinlichen, sondern einfach tolle Lieder.  Peinlich wird's immer erst, wenn andere dazukommen, ob real oder auch nur in Gedanken, bei mir waren und sind das immer Leute, die ich irgendwie beeindrucken will. Und ganz oft Typen. Typen, die in Bands spielen, Typen, die über Musik schreiben, Typen, die sich mit Musik auskennen.

Allein die Erinnerung daran, was der voll süße Jochen vor 23 Jahren von mir gedacht hätte, wenn er mich bei voll aufgedrehtem Kassettenrekorder I think we're alone now hätte singen hören, lässt mich erröten. Hier und jetzt. Ich habe ihn angebetet und war mir sicher, er als cooler Metalfan hätte mir meine Schwäche für diesen Song nie durchgehen lassen. Er hätte mich blöd gefunden und allen anderen coolen Metaljungs erzählt, was für einen mistigen Musikgeschmack ich habe und dann hätte ich nie einen Freund abgekriegt. (Er fand mich auch so blöd und ich hatte nie einen coolen Metalfreund, was mir nachträglich betrachtet nicht geschadet hat. Und den einen oder anderen Freund habe ich natürlich doch abgekriegt.) In der Zeit nach meinem 30. Geburtstag habe ich einige Zeit in Gesellschaft eines selbsternannten Musikpolizisten verbracht. Er hatte eine riesige Plattensammlung, konnte von Berufs wegen lustige Geschichten erzählen (zum Beispiel, dass man so Typen von irgendso einer Popstars-Gewinnerband bei The Dome gewaltsam davon abhalten musste, total zugekokst vor die Halle zu gehen und Mädchen zu erschrecken) und hatte strenge Regeln, wenn 's um Musik ging. In den Jahren mit ihm ist die Liste der peinlichen Lieblingssongs immer lang und länger geworden,ups, aber hallo.

Hier ein paar davon, meine liebsten peinlichen Lieblingssongs:

- Backstreet Boys: Everybody. Ich war nie ein Boygroup-Fan. Ich bin nicht von zu Hause abgehauen, um irgendeiner Band hinterher zu reisen, bin nie kreischend vor Konzerthallen angestanden, wurde nicht ohnmächtig von Sanitätern  aus der ersten Reihe gefischt und musste nicht bei der Bravo-Notfall-Hotline anrufen, als Robbie Williams Take That verlassen hat. Ich war zwischen 16 und 25 vieles, Grunge, Alternative, Crossover, Trip Hop, Indie, Rock, ein bisschen Hip Hop, ein wenig Punk, etwas Metal, nur eines wollte ich auf keinen Fall sein: Pop. Das war nämlich was für Kinder. Und Boygroups? Voll peinlich!
Aber wenn mein Freund M, dem gar nichts peinlich war, dieses Lied aufgelegt hat, musste ich wild tanzen. War natürlich ironisch gemeint. (Nein, war's nicht. Ich mochte das Lied echt. Und: ich finde auch das Video toll.)

- Justin Timberlake: Cry me a river. Ups, wo kommt das denn her. Nein, Herr Geschmackskontrolleur, ich habe keine Ahnung, wie der Song auf meinen iPod kommt, ich glaube, der war da schon drauf, als Beispiellied, würde ich mir doch NIEMALS runterladen. (Justin, entschuldige bitte, nein, das war nicht so gemeint, ich musste das sagen, versteh' doch.)

- Dolly Parton: I will always love you. Keine halben Sachen, unter Dolly mach' ich's nicht. Wenn sie dieses Lied singt, kriege ich 1a-Gänsehaut und muss ein bisschen heulen. Ich denke, solange ich mir keinen knallblauen Lidschatten bis zu den Brauen schmiere, ist das in Ordnung.

- Tammy Wynette: Stand by your man. Noch so eine seichte Schnulze, die ich aus unerfindlichen Gründen sehr liebe. Werfe ich die Frauenbewegung um Jahrzehnte zurück, wenn ich unter der Dusche "sometimes its hard to be a woman, giving all your love to just one man..." trällere? Kann sein, aber, hm, ich bin diesem Lied hilflos ausgeliefert.

- Uncle Kracker: Follow me. Es hört einfach nicht auf. Ich kann nichts dafür. Ich habe eine Vorliebe für seichte Country-Pop-Songs, vielleicht ist es ja so eine erbliche Sache. Vielleicht will mir dieses Bedürfnis auch zeigen, dass ich nach Amerika ziehen, vor einem alten Holzhaus in der Prärie auf der Veranda stehen und kummervolle über eine endlose Steppe starren will, während ich an eine verflossene Liebe denke und darauf warte, dass mein Apple Pie fertig ist.
Aber uhhh, Kid Rock, schrecklich. Igitt, igitt. Und Kid Rocks DJ, auch nicht besser, ihh. Bah, das muss doch nicht sein.

- Beyoncé: Crazy in love. Ein kollektiver peinlicher Lieblingssong, fast alle meine Freunde mochten ihn.  Dass das so war, gaben wir aber erst nach ein paar (= vielen) Flaschen Bier zu. Der Musikpolizist sagte, er fände nämlich gar nicht den Song gut, der sei selbstverständlich so eine Mainstream-Scheiße von so 'ner untalentierten Kommerztussi, aber das Sample wäre genial und das wisse er zu würdigen. Alle nickten. Klar, das Sample. Pfff. Wahrscheinlich ging es allen wie mir: yeah, das Lied macht aber RICHTIG Spaß, yeah, endlich was anderes als dieser ewige Stoner-Rock-Kram.

 Und:

Def Leppard. Die Band mit dem Drummer mit dem appen Arm. Unfassbarer 80er Jahre Hard Rock Mist. Aber meine Güte, was stand ich auf diesen Song. Ich habe zwar nicht kapiert, warum der Typ wollte, dass Zucker auf ihn gestreut wird, aber egal, ich hab' trotzdem Textzeilen in Edding-Schönschrift auf meinen Block geschrieben. Die letzten gefühlt hundert Jahre habe ich nicht mehr an ihn gedacht, aber als ich ihn jetzt wieder gehört habe: ich stehe immer noch drauf. Obwohl ich mittlerweile verstehe, worum es geht. Peinlich.

Kommentare

  1. Herrlich! Ich LIEBE diesen Post! Und Du hast so Recht! Zum Glück bringt das Alter auch irgendwann die Erkenntnis dass man auch zu vermeintlich peinlichen Songs stehen darf!

    Ich hab witzigerweise heute auch über Musik geschrieben, ich hoffe da ist nichts dabei was mir peinlich sein müsste. Ach, sicher nicht, denn peinlich muss ja gar nichts sein!

    Ein tollen Tag mit ganz viel grossartiger Musik! Liebe Grüsse von
    Frau Süd

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    1. Liebe Frau Süd, bei Dir ist tatsächliche überhaupt nichts Peinliches dabei (der Musikpolizist würde was anders sagen, aber pfff). Chicago ist auch eines meiner Lieblingslieder und Graham Coxon finde ich unglaublich toll. Und Johnny Cash, ach Johnny...
      Dir ganz viel yeah! yeah! yeah!

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  2. auch von mir: herrlich!

    hätte noch endlos weiterlesen können...

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    1. Danke - vielleicht grab' ich irgendwann noch mehr aus, die richtig schlimmen Dinger, dann wird's lustig. Liebste Grüße!

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  3. Großartig. Und Def Leppard waren das also mit dem appen Arm...
    Wieder einmal großartig hier zu lesen, liebe Silke.
    Einen schönen Abend.

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    1. Ja, die waren das. Den appen Arm fand ich sehr faszinierend. Liebe Katja, danke für das schöne Kompliment, hab' das tollste Wochenende!

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    2. Gerne doch! :)
      Fand ich auch sehr faszinierend, denn er war gar nicht schlecht, so ohne Zweitarm. Hab die aber immer mit Led Zeppelin verwechselt, so wegen zweiteiligem Bandnamen glaub ich.
      Das Wochenende mach ich mir sonnig. Du Dir auch!

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  4. Wunderbar! So viele herrliche (Nicht-)Peinlichkeiten!

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