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Ein Brief zum Jahrestag

Lieber E,
heute ist es genau zwei Jahre her, seit ich Dich das letzte Mal gesehen habe.
Wie (fast) immer haben wir uns zum Essen getroffen und wie immer hast Du das Restaurant vorgeschlagen. Ein thailändisches Restaurant, in das ich nie gegangen wäre, weil es sich so gut versteckt hat. In einer kleinen Nebenstrasse der großen Einkaufsmeile, zwischen Primark und Uniqlo, neben McDonalds, Dönerbuden und Billig-Chinesen, wo man für 5 Euro soviel Glutamat essen kann, wie man schafft, bevor es einem schlecht wird, war der Eingang so schwer zu finden, dass ich sogar Siri um Hilfe bitten musste. Und als wir dann am Tisch saßen, habe ich Dich damit aufgezogen, weil Du hierher wolltest, wo neben thailändischem Essen auch thailändische Massagen auf der Karte stehen. Du hast gelacht und gesagt "warte einfach ab". Und natürlich hattest Du Recht - dieses Essen! Die besten vietnamesischen Frühlingsrollen der Welt. Das beste Phad Thai Gai der Welt. Und der beste Freund der Welt.

Ich habe mir nach jenem Abend vorgenommen, öfter hinzugehen (das Phad Thai Gai!), aber dann warst Du auf einmal weg und es kam und kommt für mich nicht mehr in Frage, dort zu essen. Es ist schon schwierig, daran vorbeizulaufen, weil meine innere Landkarte, die die Orte abbildet, an denen wir uns getroffen haben, nun voller Löcher ist. Löcher, in die ich hineinfalle, wenn ich an ihnen vorbeilaufe, nur dass ich mir beim Fallen nicht die Knie aufschlage, sondern das Herz ein wenig aufschürfe.
Eigentlich bräuchte ich für jeden Weg durch die Stadt einen Erste-Hilfe-Kasten.

In diesem Laden hast Du mir von Deinem Umzug ins Ausland erzählt, über den lauwarmen Reisnudeln und den marinierten Chili-Bananen haben wir uns gefreut und Pläne für meinen Besuch gemacht. Zu dem es natürlich nie gekommen ist.

Über die Linsensuppe bei dem Türken hast Du gesagt, sie wäre fast so gut wie die Deiner Mutter. Der Wirt hat sich so darüber gefreut, dass er uns mehr Raki ausgegeben hat, als gut für uns war. Auf dem Weg zur Arbeit fahre ich jeden Tag daran vorbei.

Hier war das afrikanische Restaurant, das wir für ein Stadtmagazin testeten und in dem wir neben Alicha und Injera eine Lebensmittelvergiftung bekamen. Weil Du die Köchin und ihre Töchter so mochtest, hast Du behauptet, Dir wäre es nach dem Essen blendend gegangen, viel später hast Du zugegeben, dass Du Dir auch die Seele aus dem Leib gekotzt hast.
Die anderen afrikanischen Restaurants, in denen wir oft waren, gibt es noch, aber ich kann nicht reingehen. Von dem einen habe ich mal etwas liefern lassen, aber am Küchentisch zu sitzen fühlte sich falsch an. Als wir auf Sitzkissen auf dem sandigen Boden saßen und nach dem Essen kaum mit knackenden Knochen kaum noch hochkamen, das fühlte sich richtig an.

An der Ecke, an der ich so oft vorbei komme, war unser allerliebstes Lieblingsrestaurant, es wurde schon aufgegeben, da warst Du noch da und wir waren gemeinsam traurig, weil wir nie mehr das beste Kartoffel-Curry mit Naan der Welt essen würden.
Jetzt bin ich zusätzlich traurig, weil ich nie mehr mit Dir essen werde.

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