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Grey's Anatomy.

Am Freitag war ich im Krankenhaus. Ich wollte nur die zickige Zyste, die mich und meinen Frauenarzt seit einer Weile ärgert, "mitbeurteilen" lassen. Vier Stunden später stand ich vor der Tür, der Ärmel meiner weißen Bluse blutbeschmiert, hatte ein Gespräch mit einer netten russischen Anästhesistin über meine Ohrstecker, die sie an die zu Kettenanhängern umgearbeiteten Manschettenknöpfe ihres Vaters erinnerten, und den Auftrag am kommenden Donnerstag Punkt acht nüchtern und haarlos zur OP zu erscheinen. 

Aaaah, Panik. Bis Donnerstag ist wenig Zeit und ich habe viel zu tun. 

  1. Ich habe nichts anzuziehen. Ich bin tatsächlich sofort losgezogen und habe mir bei H&M Pyjamahosen gekauft. Und Unterhosen. Aber soll ich noch mitnehmen? Passen die Ringelshirts zu den karierten Schlafanzughosen? Lieber was mit langen Ärmeln oder lieber kurz? Wie viel soll ich einpacken, wenn's gut läuft bin ich Samstag wieder zu Hause, aber wer weiß, ich will da auf keinen Fall mit Klamotten rumliegen, die mit irgendwelchen ekligen Flüssigkeiten versaut sind (außerdem fällt es mir schwer zu essen, ohne zu kleckern). Und was soll ich mit meinen Haaren machen? Die  wollen jeden Tag gewaschen werden und wenn ich das nicht kann, dann kriege ich ganz, ganz schlechte Laune. Und nein, ich habe keine Lust, auf dieses Experiment, bei dem man sich 6 Wochen nicht die Haare wäscht und dann sind sie ganz toll, wirklich nicht. 
  2. Die Wohnung muss auf Vordermann gebracht werden. Meine Wohnung muss ordentlich sein, wenn ich das Haus verlasse. Egal, ob ich kurz zum Supermarkt muss, feiern gehe oder verreise. Weiß ich denn, ob ich zurück komme? Kann ich sicher sein, dass ich alleine  zurück komme? Und wenn in meiner Abwesenheit jemand unbefugt meine Wohnung betritt? Ich möchte auf keinen Fall für eine Schlampe oder eine verschrobene Schrulle, die nur ein paar Jahre von der Weinbrandbohnen futternden Katzenlady mit dem Schrotgewehr entfernt ist, gehalten werden. Nicht von meinen Eltern, die weinend meine Besitztümer sortieren müssen, ist ja schon schlimm genug, da sollen sie sich wenigstens damit trösten können, dass ich wider Erwarten ein ordentlicher Mensch geworden bin. Nicht von Einbrechern, die nach Wertgegenständen suchen (nicht dass da viele wären, aber die, die da sind, werden sie schnell finden und mich deshalb mögen. Oder mich so cool finden, dass sie alles da lassen und stattdessen bei meinen idiotischen Nachbarn einbrechen). Nicht von spontanen Übernachtungsgästen, selbst wenn die so betrunken sein sollten, dass sie auf dem Klo einschlafen (ja, solche Leute lasse ich bei mir schlafen). Ich will gut rüberkommen, selbst wenn ich tot sein sollte. Vielleicht gerade dann. Und deshalb achte ich darauf, dass wem auch immer, ein Regenbogen aus Nagellackfläschchen entgegen lacht, wenn er meinen Badezimmerschrank öffnet. Dass auf dem Plattenteller irgendeine coole Platte liegt, vielleicht von den Talking Heads oder Radiohead, obwohl ich die ganze Zeit nur Hui Buh höre. Kürzlich hat jemand gesagt, dass wäre wie lügen, aber das stimmt nicht. Ich finde nicht, dass es eine Lüge ist. Es ist ja wirklich meine Talking Heads Platte und ich finde sie auch wirklich gut, nur einschlafen kann ich nicht, wenn David Byrne Psychokiller singt. Und ich würde ja tatsächlich die ganze Zeit arte oder so gucken, wenn da auch mal was wie Topmodel oder The biggest loser laufen würde. Und überhaupt: Käpt'n Blaubär sagt, eine gute Lüge ist so, als würde man der Wahrheit ein schöneres Kleid anziehen. 
Bei diesen Überlegungen komme ich mir zwar etwas blöd vor, aber sie sind mir lieber, als die Schweißausbrüche und das Herzrasen, die mich überfallen, wenn ich daran denke, dass ich komplett die Kontrolle abgeben muss. An Leute, die ich gar nicht kenne. Wer weiß, ob die ihren Job beherrschen? Was, wenn die sind, wie manche meiner Schüler? Wenn die versuchen, mir Sondennahrung über die Vene zu geben? Meine Schwester hat mir heute morgen von der Spinalanästhesie vor ihrem Kaiserschnitt erzählt, die Narkoseärztin hat ihr ein paar Venen durchlöchert, das Blut spritzte nur so herum, und bei der Vorstellung, dass diese Frau gleich in ihren Spinalkanal pieken sollte, hat sie sich überlegt, das mit der Geburt einfach bleiben zu lassen.
Was, wenn ich von der Narkose durchdrehe? Wenn ich im Aufwachraum anfange zu randalieren, oder schlimmer, zu singen? Wenn ich alle vollkotze? Lieber nicht dran denken. Alles wird gut. Alter Kontrollfreak.

Lieber wieder die albernen Überlegungen:
- werde ich am Donnerstag abend fit genug sein, um Topmodel zu gucken?
- ich muss um 8 Uhr auf Station sein, also um 7 Uhr bei der Aufnahme, schaffe ich es, vorher noch an die Gala und die Grazia ranzukommen?
- kriege ich es hin, heimlich unter der Bettdecke SMS zu schreiben? Am besten, ich übe heute nacht schon mal.

Wenn's hier also eine Weile ruhiger sein wird: ich habe zu tun. Ich muss noch Trockenshampoo besorgen. Und anständige Handtücher.

Passend zum Thema:


Turin Brakes: Painkiller






The White Stripes: Girl, you have no faith in medicine






Kommentare

  1. Silke, sind wir bei der Geburt getrennt worden? Viel Glück!
    Nina
    "I can't seem to face up to the facts
    I'm tense and nervous and I
    Can't relax" (Danke, Mr Byrne)

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    1. Ha, ich werde mal meine Mutter fragen, ob es da was Besonderes gab, bei meiner Geburt, was sie mir seither verschwiegen hat. Könnte schon sein, sie ist immer für Überraschungen gut...

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  2. Hahaha! Super! Aber völlig logische Gedankengänge;)
    Viel Spaß im Krankenhaus, und statt Gala würd ich die Bunte mitnehmen!

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    1. Ich nehme sie alle. Die Gala, die Bunte, die Grazia. Wenn's ganz, ganz schlimm kommt, auch die InTouch. Aber wirklich nur im Notfall. Dann korrigiere ich die Rechtschreibfehler.

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  3. liebe silke! was habe ich schon gelacht bei dir! herrlich! unterwäsche und schlafanzüge wären auch mein erster gedanke. die gehen ja für zuhause, aber für öffentlich... ich weiß aber noch, dass ich meine letzte op dann eigentlich ziemlich geil fand, weil ich nach der vollnarkose so lange und so gut geschlafen habe, wie schon ewig nicht mehr (drei kinder, you know?) :-) also, viel glück!
    und liebe grüße!
    steffi

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    1. Vielen Dank, liebe Steffi. Auf 's Schlafen hoffe ich auch. Hingehen, mich abschießen lassen, irgendwann aufwachen (am besten bevor Topmodel anfängt), weiterschlafen, alles ist gut...

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  4. ich muss mich gerade über "Und ich würde ja tatsächlich die ganze Zeit arte oder so gucken, wenn da auch mal was wie Topmodel oder The biggest loser laufen würde." schlapplachen!
    Alles Liebe, Frau Nord

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