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Ein Brief

Chere Isabel,

wie sehr hast Du mich in den letzten Tagen verfolgt. Ach was, Tagen. Wochen, Monaten. Du warst allgegenwärtig. Und, tut mir leid so direkt zu sein, Du hast mich unglaublich genervt.

Das erste Mal, als ich von Dir gehört habe, war als diese furchtbaren Sneakerwedges von Dir aufgetaucht sind. Warum, Isabel? Das habe ich mich oft gefragt, eigentlich jedes Mal, wenn eine Frau ungelenk in diesen klobigen Dingern vorbei gestelzt kam, ob in den Originalen oder einer der hunderttausend armseligen Kopien. Ja, ich weiß, für die Kopien kannst Du nichts, wenn es nach Dir ginge, würde es sie gar nicht geben. Du hasst die Plagiate, hasst es, dass Deine Idee gestohlen und verramscht wurde, deshalb hast Du auch die H&M-Kollektion gemacht, um den ganzen Nachahmern eine lange Nase zu drehen. Aber das macht Deine Idee nicht besser. Ich meine, Sneaker und Wedges? Das geht doch nicht. Was hast Du Dir dabei gedacht? Von da an warst Du für mich die Frau, die die schlimmen Schuhe erfunden hat. Und wenn Du kurz darauf ein Heilmittel gegen AIDS entdeckt hättest, wäre meine Reaktion ein „trotziges „“kann ja sein, aber trotzdem, SIE IST IMMER NOCH SCHULD AN DEN SCHLIMMEN SCHUHEN“ gewesen. Ich bin da so wie die Leute, für die Romy Schneider immer Sisi war.

Vor ein paar Monaten ging dann ein Rauschen durchs Internet.“„Isabel Marant und H&M!“ Erst ein Gerücht, dann eine Tatsache. Ui. Modeblogger waren außer sich vor Freude.Isabel Marant! Die Königin! Bei H&M! Wahnsinn! Die Kooperation des Jahrtausends. Leute, haltet euch den 14.11. frei.

Ich hab's dann zuerst vergessen, bis Deine H&M-Kollektion sich in mein Leben geschlichen hat. Auf Plakatwänden, in Werbespots. Auf Instagram, es war unausweichlich. Überall Bilder von Menschen in Showrooms und auf Pre-Sales und Releasepartys und alles. Als ich die ersten Bilder gesehen habe, liebe Isabel, ging es mir so wie immer, wenn es um Deine Klamotten geht. Kopfschütteln. Die Frage, warum alle so ausflippen. (Auch wenn Milla Jovovich entzückend in den Klamotten aussah. Aber wann sieht die nicht entzückend aus? Ist halt die Milla.)

Vielleicht mag ich die Kollektion nicht, weil viele der Teile mich an die 80er und 90er, meine Teenagerzeit und vor allem meine (Mode)sünden - und die anderer Leute - erinnern:

Jeans mit Borte an den Seiten? Oh, so was ähnliches gab es schon mal, erinnerst Du Dich? Diese Karottenjeans mit Lederstreifen an der Seite und einem über ein Knie, weisst Du noch?? Mit dreizehn oder vierzehn war ich unglaublich scharf auf so eine Hose. Irgendwann habe ich eine gekriegt, allerdings nicht mit Lederbesatz sondern mit einer gemusterten Stoffborte, ganz ähnlich wie bei Deiner. War nicht ansatzweise so cool wie Leder, aber besser als nichts. Eine grauenhafte Hose.

Bei der Lederhose mit Schnürung musste ich an diesen Typen von meiner Schule denken. Der hat auch solche getragen. Dazu langes fettiges Haar und ein T-Shirt mit einem stolzen Adler drauf. Ich habe mal mit ihm geknutscht und einmal, als ich sehr betrunken war, einen Liter Milch auf die besagte Lederhose gekippt. Frag' nicht warum und wieso, ist 'ne lange Geschichte. Er hat mir nie verziehen und wenn ich solche Hosen sehe, muss ich lachen. (Außerdem schäme ich auch ein bisschen, weil ich auf dieser Party noch viel schlimmere Sachen gemacht habe, als eine Lederhose mit Milch zu beschmieren...)

Und so seltsame Oberteile und Pumphosen in Gold und Metallic hat in der Oberstufe die S. aus meinem Englisch-LK getragen. S. hatte einen Freund, der bei der Bundeswehr war, und an den Schulsamstagen hat er sie in seinem Golf abgeholt und sie haben noch auf dem Parkplatz gebumst. Am nächsten Montag hat sie allen davon erzählt, was überflüssig war, weil wir es doch alle mitbekommen hatten.

Vielleicht bin ich auch einfach nicht„“fashion“ genug, um Deine Klamotten zu verstehen. Vielleicht kapiere ich nicht, dass das keine doofen Anleihen aus den doofen 80ern sind, die mir Bauchweh machen, sondern DIE coolenbequemenlässigen Sachen, die man haben möchte. Haben muss. Ja, vielleicht bin ich eine dumme, mittelalte Frau, die keinen Plan von Mode hat. Aber das stört mich nicht. (Falsch, voll gelogen, natürlich will ich keine planlose Olle sein, die Mode nicht versteht. Würde das Guido über mich sagen, ich würde mich tagelang einschließen, um zu heulen. Ups, da hast Du's, Isabel. Ich gucke Shoppingqueen. Ich dürfte eigentlich gar nicht mitreden.)



Eines will ich Dir auf jeden Fall auch sagen, damit Du nicht denkst, dass ich nur rumlästere: es waren ein paar Sachen dabei, die ich richtig, richtig schön fand. Das graue Herrensweatshirt. Den Oversize-Mantel. Die T-Shirts. Die Longsleeves. Nur, für ein graues Longsleeve brauche ich Dich nicht. Das können auch andere. Auch in schön, auch in guter Qualität. Du hast eben nicht den Grobstrickpulli erfunden, sondern die hässlichen Schuhe, das krieg' ich nicht aus dem Kopf.

Aber weißt Du was ulkig ist? Heute bin ich trotz allem nach der Arbeit zu H&M gegangen, wie so ein Mode-Lemming. Nur mal gucken, vielleicht sind die Sachen live ja doch toll. An einer einzigen Kleiderstange, umgeben von leeren Regalen, hingen noch ein paar Sachen. Die, die keiner wollte, die Reste. Neben mir eine ältere Frau, die verzweifelt versuchte, sich die Kindermütze auf den Kopf zu packen (übrigens, Isabel, die mochte ich auch!), dabei rief sie „“so schöne Mütze! Warum passt nicht? Warum?“. Ich habe in den Sachen gewühlt und ein Seidenkleid herausgezogen; weil es meine Größe hatte, habe ich es anprobiert. Vielleicht auch weil irgendwo in meinem Kopf ein schmollendes Mädchen saß, dass mit den Fäusten auf den Boden trommelte und „“aber denk mal, ISABEL MARANT. Das ist eine ECHTE DESIGNERIN. Wäre doch voll COOL, was von der zu haben“. Dann stand ich vorm Spiegel. In einem Kleid mit Raffungen an den Ärmeln und am Busen. Mit eingearbeitetem Glitzer. In genau so einem Kleid, wie ich es mit 9 Jahren gehabt habe. Und ich musste lachen. Nein, ich wollte es nicht haben. Echte Designerin hin, voll cool her.


Ach, Isabel, wir werden nie zusammenfinden. Aber bitte, sei nicht traurig oder sauer. Es liegt nicht an Dir, es liegt an mir. Und es hat auch überhaupt nichts mit Dir als Person zu tun. Dich finde ich nämlich total super, seit ich auf ARTE mal eine Dokumentation über Dich gesehen habe. Ohne Scheiss.

Also, mach's gut,

bisou, Deine Silke

Kommentare

  1. Ich liebe Dich für diesen Brief! Was ich ja an sich schon immer für Deinen Musikgeschmack tu....Du erinnerst mich auch so oft an vergessene Lieder. (Wir waren zur gleichen Zeit jung und haben die gleiche Musik gehört! Ich bin mir sicher!!!) Aber der Brief...super....ich habe nämlich auch so eine Abneigung gegen diese Schuhe und ich habe sooo gelacht! Liebe Grüße, Suse

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    1. Liebe Suse, das freut mich - puh, es gibt Leute, die nicht auf diese Schuhe abgefahren sind... Was die Musik angeht: bist Du bei spotify? Dann könnten wir Playlists tauschen und in Erinnerungen schwelgen.
      Liebe Grüße, Silke

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