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The art of Zwiebelrostbraten

Essen ist so ziemlich das Tollste auf der Welt. Und ich gebe es zu: ich bin ein Essensspießer - für mich ist das so ziemlich tollste Essen auf der Welt das, das in hippen Ausgehmagazinen unter der Kategorie "gutbürgerlich" zu finden ist. Regionale Spezialitäten. Kässpätzle. Mit Bergkäse. Mmmmh. Linsen mit Spätzle. Ohhh. Und: Zwiebelrostbraten mit Bratkartoffeln. Aaaaah.





Dafür gehe ich meilenweit und an seltsame Orte: Vereinsheime von kleinstädtischen Sportclubs, beim Essen kann man die lokalen Freizeit-Schweinsteigers anfeuern. Einsame Landgasthöfe, die Anreise scheint Tage zu dauern und wenn man endlich angekommen ist, wird man von Schafen angestarrt. Man sitzt zwischen Kunstblumen und bräunlichen Organzaschleifen, wartet aufs Essen, manchmal dauert's ein bisschen länger, weil am Nebentisch die Ladys des örtlichen Kegelvereins 20 Hawaiitoasts geordert haben und der Koch überfordert ist, dafür gibt's eine Johannisbeerschorle aufs Haus.

Wer jetzt genauso Hunger hat wie ich (es ist 9 Uhr morgens und ich will sofort Fleisch), sind hier meine Lieblingsorte für Zwiebelrostbraten & Kässpätzle:
  • das Solitudestüble in Stuttgart Weilimdorf. Immer wenn jemand aus der Familie des Mannes Geburtstag hat, wird dort getafelt. In der Hitparade der Sachen, die man am Wochenende gerne machen würde, stehen Familienessen nicht unbedingt an der Spitze. Vor allem, weil man den Anfang vom Tatort verpasst. Und weil der Bruder des Mannes seine Freundin mitbringt, die Blusen mit eingewebten Glanzstreifen für totschick hält (hat die noch nie "Shopping Queen" geguckt?? Der Guido würde anfangen zu schreien!) und dauernd stichelt, wie dick der Bauch des Bruders geworden ist, nur um ihrem Schatzi später die Hälfte ihres Fleischbergs mit Rahmsauce auf den Teller zu schaufeln. Ich werde erstens nie "Schatzi" sagen und ich werde zweitens gut alleine mit meinem Fleischberg fertig. Und den Kässpätzle. Und den geschmelzten Zwiebeln. Dafür nehme ich auch den Anblick von eingewebten Glanzstreifen in Kauf.
  • das Schlesinger mitten in Stuttgart. Kein Restaurant im eigentlichen Sinn, das merkt man. Ich hatte lange überhaupt keine Ahnung, dass man dort essen kann. Wenn ich im Schlesinger war, dann um Wodka Kirsch zu trinken und mit meiner Freundin U. ganz unglaublich miese Versionen von "Livin' on a prayer" beim Karaoke zum Besten zu geben. Jetzt sitze ich ab und zu in dem Raum meiner Blamage, der den Charme einer 80er Jahre-Kantine hat und esse Rostbraten. Sehr guten Rostbraten - siehe Bild. Aber zum Karaoke könnte ich auch mal wieder gehen, vielleicht gleich zum Halloween-Karaoke, wenn 's das noch geben sollte. Ohne Wodka Kirsch und ohne zu singen, aber gucken macht ja auch Spaß. Und ein bisschen kann ich vielleicht doch trinken.
  • Ganz neu auf der Liste und schon ziemlich weit oben: das Lumen. Bevor es das Lumen war, war es "Willis Ofengabel". Draußen hing ein Schild: "Stuttgart hat's gut, Stuttgart hat Willis Ofengabel". Ich bin auf dem Weg zur Arbeit oft daran vorbeigelaufen und habe jedes Mal erleichtert geseufzt, puh, zum Glück haben wir "Willis Ofengabel". Drin war ich nie, deshalb weiß ich nicht, was genau "Willis Ofengabel" so gut gemacht hat. Ich weiß auch nicht, wo Willi jetzt ist, ob es andere Städte jetzt gut haben. Mit dem Lumen hat es Stuttgart aber definitiv gut. Der Zwiebelrostbraten ist zu Recht jetzt schon berühmt. Die Sosse... Genau die Art Sosse, mit der man Badewannen füllen möchte, von der man nicht genug kriegen kann. Und die Bodenfliesen werde ich beim nächsten Mal auch mitnehmen, das wird schon keiner merken; ach, den Lammfellhocker aus der Damentoilette packe ich auch gleich ein. Verratet mich nicht. Übrigens: Pancakes zum Frühstück können sie auch. Und Pasta. Und Kuchen.
  • Völlig aus der Welt findet man den Wolpertinger im Merkurwald. Vor kurzem habe ich am Wochenende den Mann in Baden-Baden besucht, wo er beruflich für zwei Wochen weilen musste. Er wohnte in einem schrabbeligen Hotel außerhalb der Stadt (wobei man sich darüber streiten kann, ob Baden-Baden eine Stadt ist...) oben auf einem Berg. Schrabbelig, aber irgendwie schön. Heimelig. Kein durchgestylter Designpalast, keine skandinavische Zurückhaltung, kein Purismus, dafür überall Eulen und Schweine aus Holzgeflecht zum Drüberstolpern, an den Türen Schildchen "home sweet home" oder "welcome", emaillierte Blumenkübel an den schiefen Wänden - alles nicht schön, aber mit so viel Herz, dass man sich doch wohlfühlt. Und im zugehörigen Restaurant gibt's, bewacht vom Wolpertinger, ganz großartiges Essen. Das wissen vor allem die Menschen, die im Umland leben: der Laden ist jeden Abend brechend voll, auf dem Parkplatz sieht man nur Kennzeichen aus der Gegend. Es steht zwar kein Zwiebelrostbraten auf der Karte, aber wer gerne mal ein Wildschwein isst, der ist im Herbst gut dort aufgehoben. Ich hab' mich dort sehr gut aufgehoben gefühlt.


Kommentare

  1. Zeit für einen Glückwunsch ? Ich lese hier von"dem Mann" und wundere mich und rolle ein bißchen runter..aha nicht aufgepasst ,da gab es rosa Wolken .
    Wie dem auch sei ,schön wieder etwas von dir zu lesen, alles Gute !

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    1. Vielen Dank - es gibt rosa Wolken, in der Tat. Aber keinen Ring am Finger ;)

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