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Wanderlust/Wanderfrust


Lange war's ruhig hier. Sehr lange. War keine Absicht, das kann passieren, wenn das Leben sich entschliesst, kein langer ruhiger Fluss mehr sein zu wollen, sondern ein bisschen mehr Action, Stromschnellen, Wasserfälle & so, zu brauchen. Puh, da sind 24 Stunden am Tag auf einmal zu wenig, um all das unterzukriegen, was untergekriegt werden möchte.

Aber es tut gut. Also, meistens, jedenfalls dann, wenn's nicht weh tut. Aua. Lernen kann man in jedem Fall etwas.
Mir hat das schnelle Leben freundlicherweise diese Lektion erteilt, während einer Wanderung:

Auf dem Land wird sich freundlich gegrüsst, und zwar jeder jeden, immer. Wanderfreunde kennen sich eben. Obwohl, ich hatte manchmal den Eindruck, als wäre das Nicken und Lächeln, das Einheimische und drahtige alte Damen mit Wanderstöcken uns schenkten, ein bisschen ungläubig und von oben herab. Städter, schienen sie zu denken. Tauchen einfach hier auf, mit ihren schicken Sonnenbrillen, ihren New Balance Sneakern und Tätowierungen und glauben, da mal eben händchenhaltend 30 Kilometer am Tag über die Schwäbische Alb spazieren zu können. Trottel.
Und sie hatten recht. In New Balance Sneakern kann man hervorragend den Asphalt unsicher machen, tagelang, nächtelang, und hat immer noch das Gefühl kleine graue Wölkchen an den Füssen zu haben, aber man kann mit ihnen nicht stundenlang bergauf und vor allem nicht bergab marschieren. Das heisst, man kann schon, es geht nur nicht gut aus. Vor allem, wenn dazu kommt, dass man nicht auf weichem, moosgepolstertem Untergrund schwebt, wie man sich das halt so vorstellt, sondern über Schotter, enorme Wurzeln und riesige Steine, dann passiert folgendes: die hippe Städterin muss am 2. Tag, nach nur 7 Kilometern, heulend am Strassenrand sitzen, weil der Schmerz im grossen Zeh das fordert und sie nun heute abend nicht im Heu wird schlafen können. Der Zeh fordert zudem, sofort mit Bus und Bahn und Taxi in die grosse Stadt zurück gefahren und in die Notaufnahme gebracht zu werden. Zu Befehl, Sir, wenn Sie nur aufhören, so weh zu tun! Das tat er allerdings erst, nachdem eine freundliche Fachkraft mit enormer Oberweite eine lange Kanüle durch den Nagel gebohrt hatte, dass das Blut nur so rumspritzte. Zur Druckentlastung. Durch den Nagellack, weil in der riesigen Notaufnahme im riesigen Krankenhaus in der grossen Stadt kein Aceton aufzutreiben war (wo sind wir hier eigentlich, verdammt noch mal, kein Nagellackentferner, geht's noch?).

Beim nächsten Mal, also wenn ich überhaupt jemals wieder geschlossene Schuhe werde tragen können, da trag' ich dann richtige Wanderschuhe, Alta. Ich schwör'. Aber niemals, niemals werde ich diese komischen Hosen mit an zwei Stellen abtrennbaren Beinen tragen. Das schwör' ich noch viel mehr.

(Ach, ich hab' noch was viel Wichtigeres gelernt: wandern ist total toll, auch wenn man ganz oft fluchen und sich fragen muss, was zum Teufel man da eigentlich macht, weil's immer nur bergauf geht und man nichts mehr zu trinken hat und man in keinem der Dörfer Eis kaufen kann, aber es gibt so viele Belohnungen. Stundenlang durch den Wald laufen & keiner Menschenseele begegnen. Keinen Strassenlärm hören. Unglaubliche Ausblicke über Wälder, Täler, Burgen. Füchslein im hohen Gras. Eidechsen. Hasen. Dieser unglaubliche Hunger, den man nur nach körperlicher Anstrengung hat. Der Verlust des Zeitgefühls. Und im Heu schlafen will ich unbedingt auch noch.)  

Und eines noch: meine Mutter glaubt immer noch, ich hätte angemessene Schuhe getragen. Verratet mich nicht. Ich hasse es nämlich zugegeben zu müssen, dass sie Recht hatte.

Kommentare

  1. Oh wie schön, mal wieder was von Dir zu hören, hab mich grad richtig gefreut, als der Feedreader dich schwarz markiert hatte. Neugierigerweise interessiert mich der Part mit dem Händchen haltend grad viel mehr als ein durchstochener Zeh. Wobei auch das sehr aufregend klingt. ;-)
    Viele Grüße,
    Anne

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    1. Ist beides aufregend. Dürfte aber nicht schwer zu erraten sein, welche Art von Aufregung mir besser gefällt... Liebste Grüsse, Silke

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  2. Alter Falter!
    Mann, das klingt nach bösem Schmerz. Ich wünsch Dir gute Besserung für den Großen. Und viel Entspannung am Wochenende.

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  3. Puh, wirklich böser Schmerz, zum Glück war bisher immer Offene-Schuhe-Wetter. Und hoffentlich bleibt es noch ein bisschen so, ich will meine Umwelt noch ein bisschen mit dem Anblick der blau-rot-gelben Zehenkatastrophe erschrecken...

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  4. Händchenhalten? Klingt gut :-) Der Rest (sprich Nagel) nicht so :-( Ich selbst habe mal gelernt, dass zumindest Standardblasen - also die, die so gern hinten an Hacken auftauchen - selbst im aufgegangenen, wunden Zustand nach so zwei, drei Kilometern irgendwie nicht mehr weh tun - nur abends dann wieder höllisch, wenn man mit dem Laufen aufhört. Dabei hatte ich die richtigen Schuhe an - und nur die falschen Socken. Durch verwunschende luxemburgische Märchenwälder wandern war aber auch echt ne ziemlich gute Entschädigung. Da waren echte Forellen in den Waldbächlein!!

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    1. Oh, luxemburgische Märchenwälder, das klingt tatsächlich schön. Waldbächlein, Forellen - sehr verwunschen. Das macht die Sache mit den falschen Schuhen, falschen Socken, schmerzenden Blasen und kaputten Zehen fast wett...

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